Inhalt
- Kirchengeschichte – regional gedacht, lokal dargestellt
- „Ihr Name und Ihr Schicksal ist der ganzen Bekennenden Kirche vertraut“
- Chronologie zur Stadtkirche Durlach
Kirchengeschichte – regional gedacht, lokal dargestellt
Eine historische Skizze über das einzigartige Durlach
von Dr. Hans-Georg Ulrichs
Der hier zu lesende Artikel von Dr. Hans-Georg Ulrichs erschien im Jahrbuch für badische Religions- und Kirchengeschichte 2011
Den Artikel mit vollständigen Fußnoten und Quellenangaben gibt es zum Herunterladen:
Fordern manche Kirchenhistoriker im Kontext der Europäisierung und Globalisierung eine Kirchengeschichtsdarstellung als Christentumsgeschichte, die die großen Zusammenhänge bedenkt und darstellt, so erinnern andere daran, dass räumliche und konfessionelle Begrenzungen, also Darstellungen im territorialen und nationalen Rahmen oder konfessionsgeschichtliche Untersuchungen ebenso wie biographische Einzeldarstellungen weiterhin sinnvoll bleiben. Möglicherweise werden in enger gefassten Darstellungen zwar nicht alle großen Zusammenhänge benannt werden können. Für diesen Preis erwirbt man aber eine anders nicht mögliche Tiefenschärfe. Enger gefasste Untersuchungen sind dann besonders wertvoll, wenn gute Gründe für die Annahme vorliegen, dass es sich um zentrale, repräsentative oder exemplarische „Gegenstände“ handelt, selbst wenn uns hier auch Extraordinäres begegnet. Für die badische Kirchengeschichte etwa ist mit guten Gründen anzunehmen, dass sich die frühere Residenz Durlach für eine solche Forschung als lohnend erweisen könnte. Eine Durlacher Kirchengeschichte könnte ein Spiegel für die badische Kirchengeschichte sein. Es wäre gewiss ein lohnendes Unternehmen, einmal ein solches Unternehmen nicht nur auf Grund der Literatur, sondern nochmals neu mit den Akten und Dokumenten der Gemeinde, der Landeskirche ⋯ und des Generallandesarchivs zu schreiben.In Durlach, einem mittelbadischen Städtchen an der Pfinz mit seinen heute etwa 30.000 Einwohnern, finden sich nicht nur repräsentative Exempel. Vielmehr ist Durlach über weite Strecken ein Ort, an dem sich zentrale Entwicklungen ereignen, ist es doch eineinhalb Jahrhunderte lang die Residenzstadt Baden-Durlachs (1565-1718) gewesen und danach immer wieder ein bevorzugter Wohnort in der Nähe der neuen Residenzstadt, auch wenn die wachsende Bedeutung Karlsruhes, in das es 1938 zwangsweise eingemeindet wurde, Durlach in den Schatten zu drängen drohte. Entscheidungen von historischen Reichweite mussten hier schnell auch im kirchlichen Alltagsleben ankommen. Ein Überblick auf die Pfarrer-, Diakonen-, Rektoren- und Professorenliste Durlachs zeigt interessanter Weise auch, wie viele „Ausländer“ hierhin berufen wurden! Wie überhaupt die (früh-) neuzeitliche pfarrberufliche Mobilität ganz erstaunlich gewesen ist. Landeskirchliche – bzw. treffender: territoriale – Grenzen waren offenbar weniger wichtig als Kompetenz und Konfession. Und so mancher Pfarrer ist von seiner exponierter Stellung in Durlach weggegangen oder wegberufen worden, um anderenorts erst richtig prominent zu werden.Die Epochen der badischen Kirchengeschichte zeigen sich in Durlach in respektablen und prominenten Personen, deren Wirken das reale Leben vor Ort unmittelbar beeinflusste und bewegte.
(1) Die Reformation und das Konfessionelle Zeitalter können erläutert werden an Hand der Veränderungen mit der Einführung der Reformation in der Markgrafschaft Baden-Pforzheim, der dann bald folgenden Verlegung der badischen Residenz von Pforzheim nach Durlach 1565 und der Errichtung des Dekanats Durlach, das bis 1975 existierte. Nicht zuletzt ist auch an den Markgrafen Ernst Friedrich (1560-1604) zu erinnern, der Ende des 16. Jahrhunderts nach eigener Konversion versucht hat, auch sein Territorium der reformierten Konfession zuzuführen, unter anderem durch das letztlich als „Privatbekenntnis“ anzusehende „Staffortsche Buch“. Wie andere Landesherren hat auch er versucht, durch ein religiöses Bekenntnis sowohl sein Territorium zu vereinheitlichen als auch zu einem Bildungsfortschritt beizutragen – und dazu war es nicht zuletzt notwendig, den Pfarrern und Lehrkräften als Bildungsträgern Vorgaben zu machen. Der lutherische Pfarrer Johann Konrad Jenisch (1556-1618) musste Durlach nach längeren Querelen 1600 verlassen, wirkte aber später nach dem calvinistischen Zwischenspiel als Superintendent im ohnehin lutherisch-renitenten Pforzheim. Die zur „Calvinisierung“ Badens nach Durlach berufenen Johann Christof Flurer und Ludwig Lucius aus Basel (1577-1642) ⋯ mussten allerdings mit dem Tode ihres Landesherrn 1604 wohl fluchtartig die Reisekisten packen. Bis zum Jahr 1821 blieb Durlach lutherisch.
(2) Die Orthodoxie hatte ihren herausragenden Vertreter in Johann Fecht (1636-1716), ab 1667 Hofvikar und Professor in Durlach, dann bald Oberhofprediger und Ephorus über das ganze badische Schulwesen. Er floh mit der Zerstörung Durlachs 1689 im Pfälzischen Erbfolgekrieg, um schließlich an der Universität Rostock bis zu seinem Tod als ein hochangesehener und schriftstellerisch fruchtbarer Repräsentant der lutherischen Orthodoxie zu leben. Während Fecht wegen des Krieges und der Kriegsfolgen das Land verließ, musste einer seiner mittelbaren Nachfolger gerufen werden, um das badische Kirchenwesen nach den Zerstörungen wieder aufzubauen. Der bedeutendste Theologe in Durlach war zweifelsohne der Schwabe Johann Jakob Eisenlohr (1655-1736), der ein gutes Beispiel für die lutherische Spätorthodoxie, die damalige kirchliche Normallehre ist. Eisenlohr hat die badische Kirche innerlich wieder reorganisiert durch Kirchen-Personalpolitik, Katechismus und Predigten. Besonders sein Katechismus, der bis zum ersten Unionskatechismus in Gebrauch blieb, wäre ein eigenes Forschungsprojekt wert. Dem Pietismus gegenüber unterhielt Eisenlohr ein eher spannungsvolles Verhältnis. ⋯ Einer von Eisenlohrs Adlaten, Gottfried Posselt (1693-1768), hat durch seine Autobiographie eine interessante sozialgeschichtliche Quelle für das Leben im 18. Jahrhundert hinterlassen. Jedenfalls muss es auch ein nahezu pfingstliches Sprachengewirr gewesen sein, wenn sich der Schwabe Eisenlohr mit dem Lausitzer Posselt in Mittelbaden unterhalten haben. Eisenlohr hinterließ eine große Nachkommenschaft, die bis in die Gegenwart hinein in der Pfarrerschaft und der Wissenschaft Badens vertreten sind.
(3) Das 19. Jahrhundert in Durlach ist weniger wegen der badischen Unionsgründung 1821 interessant, als vielmehr einerseits wegen der Tatsache, dass nun ausgerechnet im post-revolutionären Durlach 1849 nach einem Auftritt von Johann Hinrich Wichern der Evangelische Verein für Innere Mission Augsburgischen Bekenntnisses gegründet wurde; andererseits ist mit einem weiteren herausragenden Theologen, nämlich dem von 1860 bis 1898 in Durlach wirkenden Johann Friedrich Bechtel (1822-1911), ein umstrittenes Thema der badischen Kirchengeschichte dieses Jahrhunderts behandelt, da dieser bereits ein Jahr nach Einführung des badischen Landeskatechismus 1856 eine umfangreiche Erklärung, also quasi ein Lehrerhandbuch, dazu vorlegen konnte: Der Katechismus für die evang.-protest. Kirche im Grossherzogthum Baden ausführlich erklärt, aus der heiligen Schrift begründet und mit fortlaufenden Zeugnissen aus alter und neuer Zeit der Kirche versehen. Ein Handbuch für Kirche, Schule und Haus). Auch Bechtels Lehrbuch gehört in die kurze konservative Phase zur Mitte des Jahrhunderts, freilich ohne so gänzlich einseitig zu sein wie manche zeitgenössische Referenzwerke. Der eher konservative Katechismus von 1856 wurde bereits früh in der folgenden liberalen Ära eher mit Unwillen verwendet und dann 1882 von einem liberaleren Katechismus abgelöst.
(4) Für das 20. Jahrhundert können drei Personen aus dem Durlacher Beritt als historisch besonders bemerkenswert genannt werden. Zunächst ist der von 1910 bis 1935 amtierende Pfarrer Karl Adolf Wolfhard (1868-1935) zu nennen, dessen Vater Johann Georg (1830-1907) bereits Dekan und Mitglied der Generalsynode war. Adolf Wolfhard war für kurze Zeit 1895 Sekretär im Evangelischen Oberkirchenrat und kam nach einigen Stationen nach Durlach in eine boomende Industriestadt, deren sozialdemokratischen Funktionären und Propagandisten entgegen zu treten er sich nicht scheute. In Durlach war er die prägende Pfarrergestalt, die dann ab der zweiten Hälfte der 20er Jahre noch vielfältig in verantwortliche Positionen aufrückte: 1927 zum Kirchenrat ernannt, fungierte Wolfhard von 1931 bis 1935 als Vorsitzender des Landesvereins für Innere Mission ⋯ und war 1932 und 1934 in der Landessynode vertreten. Sodann ist mit Kurt Gustav Ernst Lehmann (1892-1963) an einen im „Dritten Reich“ rassisch Verfolgten zu erinnern, der von seiner Kirchenleitung sowohl in den Jahren 1933-1935 nicht energisch geschützt als auch nach 1945 vergeblich um seine Rehabilitation kämpfen musste. ⋯ Lehmanns Vater Ernst Josef (1861-1948) war vom Judentum zum christlichen Glauben konvertiert und wirkte als angesehener Pfarrer von 1911 bis 1931 in Mannheim; verheiratet war er mit der Tochter des Oberkirchenrates Gustav August Faißt (1834-1873). Mit Lehmanns erzwungenem Abgang und Wolfhards Tod wurden beide Durlacher Pfarrstellen vakant, die umgehend wieder besetzt werden konnten. Während Erwin Beisel (geb. 1903) als stiller Seelsorger im lokalen Gedächtnis geblieben ist, ist Dekan Andreas Schühle (1896-1975) eine bis heute die Emotionen weckende Gestalt. Er ist hier schließlich für das 20. Jahrhundert zu nennen, da er – aus ländlichen Verhältnissen stammend – wie sein Vorgänger Lehmann ⋯ als Soldat am 1. Weltkrieg teilgenommen hatte, um dann mit diesen Erfahrungen Theologie zu studieren und ins Pfarramt zu gehen. Damit steht Schühle repräsentativ für eine ganze Pfarrergeneration, die bis weit in die Zeit der Bundesrepublik hinein die evangelische Kirche mitprägen sollte. Schühle war ein Vertreter der volkskirchlichkonservativen Mitte, der vordergründig der Gemeinde und vor allem der Jugend gegenüber hart auftreten konnte, von nicht wenigen Zeitgenossen aber auch als achtsamer Seelsorger beschrieben wird, der in vielen Lebenslagen zu helfen verstand. In jedem Fall muss er eine beeindruckende Persönlichkeit gewesen sein. Von 1949 bis 1967 stand er an der Spitze des Badischen Pfarrvereins. Im Zusammenhang mit Gedenkfeiern der jüngeren Zeit ist das Kriegsende 1945 und die sehr harten Nachkriegsjahre – vor allem der Katastrophenwinter 1946/1947 erinnert und erforscht worden.
Durlach, das mit dem Jahr 1975 seinen Dekanatssitz verlor, ist gerade auf Grund seiner exponierten Stellung mit einer großen Stadtkirche in der ehemaligen Residenzstadt und den angedeuteten historischen Kontexten, ein strukturell eher konservatives Pflaster. Dies erhellt auch aus dem Befund, dass zwei Neuerungen, die das Pfarrerbild in der zurückliegenden Generation doch wesentlich verändert haben, erst Ende des 20. Jahrhunderts endlich auch in Durlach griffen: Im Jahre 1998 trat die erste Pfarrerin ihren Dienst an, erst 2000 wurde ein Ehepaar im Jobsharing auf die andere Pfarrstelle berufen. Das zu Ende gehende 20. Jahrhundert und das erste Jahrzehnt des neuen Jahrhunderts waren schließlich durch zweierlei stark geprägt: Zum einen durch zahlreiche notwendig gewordene Veränderungen im Immobilienbestand wie die Renovierung der Kirche, eines Kindergartenneubaus und eines anstehenden Eintausches zweier Pfarrhäuser in zwei Pfarrwohnungen. Zum anderen galt es in dieser Zeit notwendige Umstrukturierungen wie die Errichtung eines Gruppenpfarramtes, die Aufgabe der wirtschaftlich nicht rentabel zu betreibenden Diakoniestation oder den „Tausch“ zweier nicht mehr zeitgemäßer und sanierungsbedürftig gewordenen dezentraler Gemeindehäuser für ein neues zentrales „Gottes Haus am Markt“ durchzuführen. Die jährlichen Statistiken, die von bis zu 80 Beerdigungen und über 50 Konfirmand/inn/en und vieles mehr berichten, können nur ansatzweise wiedergeben, was das geistliche Leben einer Gemeinde ausmacht. Eine volkskirchlich geprägte Gemeinde sucht ihren Weg in den gesellschaftlichen Veränderungen und in kirchlichen Reformprozessen – trotz und in allen gegenwärtigen Herausforderungen nicht ohne ihre Geschichte.
„Ihr Name und Ihr Schicksal ist der ganzen Bekennenden Kirche vertraut“
Vom Schülerbibelkreis in die Fänge der Gestapo:
Ernst Münz (1915-1969) und sein BK-Freundeskreis
von Dr. Hans-Georg Ulrichs
Die bibliographischen Angaben lauten:
Hans-Georg Ulrichs, „Ihr Name und Ihr Schicksal ist der ganzen Bekennenden Kirche vertraut“. Vom Schülerbibelkreis in die Fänge der Gestapo: Ernst Münz (1915-1969) und sein BK-Freundeskreis,
in: Jahrbuch für badische Kirchen- und Religionsgeschichte 6 (2012), S. 221-266.
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Chronologie zur Stadtkirche Durlach
Simon M. Haag M.A.
Die Chronoligie gibt es auch zum Herunterladen:
Johann Georg Geyer aus Thüringen (1729 – 1802) Stadtorganist und Musikdirektor, Komponist.
Wer an familiengeschichtlichen Zusammenhängen Interesse hat, wird sich freuen, dass seit Februar 2014 Teil 1 des Ortsfamilienbuches Karlsruhe „Hof u. Hofdienerschaft Durlach 1688-1761“ erhältlich ist. Nähere Informationen (ein Überblick über die Familiennamen, eine Inhaltsangabe, Bestellmöglichkiten) können unter ⇒ www.ak-bd.de aufgerufen werden. Ein Exemplar wurde uns vom Autorenehepaar geschenkt und kann in der Bibliothek des Gemeindehauses genutzt werden.