Predigt am Sonntag Trinitatis, 26. Mai 2024,
über Epheser 1,3-14 in der Evangelischen Stadtkirche Durlach

von Pfarrer Thomas Abraham

Epheser 1,3-14
3Gelobt sei Gott, der Vater unseres Herrn Jesus Christus, der uns gesegnet hat mit allem geistlichen Segen im Himmel durch Christus. 4Denn in ihm hat er uns erwählt, ehe der Welt Grund gelegt war, dass wir heilig und untadelig vor ihm sein sollten in der Liebe; 5er hat uns dazu vorherbestimmt, seine Kinder zu sein durch Jesus Christus nach dem Wohlgefallen seines Willens, 6zum Lob seiner herrlichen Gnade, mit der er uns begnadet hat in dem Geliebten. 7In ihm haben wir die Erlösung durch sein Blut, die Vergebung der Sünden, nach dem Reichtum seiner Gnade, 8die er uns reichlich hat widerfahren lassen in aller Weisheit und Klugheit. 9Gott hat uns wissen lassen das Geheimnis seines Willens nach seinem Ratschluss, den er zuvor in Christus gefasst hatte, 10um die Fülle der Zeiten heraufzuführen, auf dass alles zusammengefasst würde in Christus, was im Himmel und auf Erden ist, durch ihn. 11In ihm sind wir auch zu Erben eingesetzt worden, die wir dazu vorherbestimmt sind nach dem Vorsatz dessen, der alles wirkt, nach dem Ratschluss seines Willens, 12damit wir zum Lob seiner Herrlichkeit leben, die wir zuvor auf Christus gehofft haben. 13In ihm seid auch ihr, die ihr das Wort der Wahrheit gehört habt, nämlich das Evangelium von eurer Rettung – in ihm seid auch ihr, als ihr gläubig wurdet, versiegelt worden mit dem Heiligen Geist, der verheißen ist, 14welcher ist das Unterpfand unsres Erbes, zu unsrer Erlösung, dass wir sein Eigentum würden zum Lob seiner Herrlichkeit.


Liebe Gemeinde!

Mit einem Eis in der Sonne auf der Bank vor der Kirche sitzen – „ist das nicht herrlich!?“
Unter dem Blätterdach im Wald nur das Rauschen der Blätter und das Zwitschern der Vögel hören – „ist das nicht herrlich!?“ Morgens aufwachen und sich ganz entspannt noch einmal umdrehen können – „ist das nicht herrlich!?“

Ich weiß ja nicht, welche Situationen oder Genüsse Ihnen so einen Wonneseufzer entlocken; aber ich bin mir sicher: Jede und jeder kennt etwas, was diese wohlig-zufriedene Dankbarkeit auslöst: „Ach ist das herrlich!“

Auch an Gott ist etwas herrlich, und zwar seine herrliche Gnade, mit der er uns begnadet hat. Gott wollte nicht für sich alleine Gott sein. Gott wollte Gott mit und für die Menschen sein. Noch bevor er die Welt erschaffen hat, hat er beschlossen, ein menschenliebender Gott zu sein – „ist das nicht herrlich!?“

Die Herrlichkeit Gottes – das ist nicht seine Größe oder Majestät oder gar eine unnahbare Ferne. Was Gott herrlich sein lässt, das ist seine Gnade. Die wahre Größe Gottes zeigt sich in seiner Gnade. Gottes „Allmacht“ bedeutet, dass er alles in seiner Macht stehende tut, damit Menschen seine Gnade und seinen Segen erfahren.

Gott hat sich die Menschen als sein Gegenüber geschaffen. „Zum Bilde Gottes schuf er ihn“, den Menschen – so steht es im Loblied auf Gottes Schöpfung. Der Epheserbrief beschreibt, wie unsere Rolle als Empfänger der göttlichen Gnade aussieht: Gott hat uns erwählt, … dass wir heilig und unadelig vor ihm sein sollten in der Liebe; er hat uns dazu vorherbestimmt, seine Kinder zu sein … zum Lob seiner herrlichen Gnade.

Die erste Hälfte – das klingt nach sehr großen Schuhen: Heilig und untadelig in der Liebe. Alles was ihr tut, geschehe in Liebe. Die Liebe soll unser ganzes Leben bestimmen – ohne Ausnahme, ohne Makel, ohne Fehl und Tadel. Mit weniger gibt Gott sich nicht zufrieden. Und mit weniger sollen wir uns auch nicht zufrieden geben.
Gottes Liebe schließt niemanden aus. Wo die Liebe nicht als oberster Maßstab gilt, da ist die Welt und da ist das Leben gottlos. Wo nicht die Liebe als oberster Maßstab gilt, sondern das Recht des Stärkeren regiert; wo Menschenverachtung geduldet wird, andere diskriminiert oder mit Hass und Hetze überzogen werden, da stellen sich Menschen gegen das, was Gott für diese Welt will. Das betrifft den alltäglichen Umgang miteinander im Kleinen. Das betrifft den Umgangston in den sozialen Netzwerken. Das betrifft den Wahlkampf und die Wahlentscheidungen – und das betrifft natürlich auch die Entscheidungen, die Verantwortliche treffen für unsere Stadt, für unser Land und für Europa. Das ist der biblische Wahl-O-Mat: Wessen Wahlprogramm und wessen Entscheidungen sind untadelig in der Liebe?

Ich habe schon gesagt, dass das sehr große Schuhe sind, die uns da angezogen werden. Ich wage zu behaupten, dass niemand von uns für sich in Anspruch nehmen kann, sein ganzes Leben untadelig in der Liebe zu führen. Und doch hält der Epheserbrief fest: Dazu sind wir bestimmt. Das ist die Zielmarke. Daran sollen wir uns ausrichten.
Wer sich offen dagegen stellt, der kann sich dafür nicht auf Gott berufen und darf sich nicht beschweren, gottlos genannt zu werden.
Wer diese Zielmarke anerkennt und sich an ihr messen lässt; wer sich an ihr ausrichtet, sie aber nicht vollständig erreicht, sondern daran scheitert, der sei an die zweite Hälfte unserer Rolle erinnert, die uns – Gott sei Dank –zugedacht ist: Wir sind Gottes Kinder … zum Lob seiner herrlichen Gnade. Gott steht zu uns wie ein barmherziger Vater. Er freut sich über jedes davongelaufene Kind, das zu ihm zurückkommt. Er tut nichts lieber, als seinen Kindern gnädig zu sein und sie auf den Weg der Liebe zu führen. Gottes Liebe schließt niemanden aus – auch die nicht, die seinem Anspruch nicht gerecht werden. Seine herrliche Gnade zu loben – das ist neben der Liebe unsere vornehmste Aufgabe. Im Lob der herrlichen Gnade Gottes erkennen wir an, dass seine Gnade weiter reicht als wir es uns ausmalen können. Im Lob der herrlichen Gnade Gottes feiern wir, dass Gott größer ist als unser Wollen und Vollbringen.

Ich habe schon bei verschiedenen Gelegenheiten von einem Buch erzählt, das ich zur Zeit mit großem Gewinn lese: „Wie verstehen Sie den Koran, Herr Imam? – Grundgedanken für einen Islam heute und hier“. Der Autor Benjamin Idriz ist Imam der Islamischen Gemeinde Penzberg südlich von München. Er weist darauf hin, dass „Barmherzigkeit“ im Koran das am häufigsten genannte Attribut Gottes ist. 315mal wird Gottes Barmherzigkeit in den 114 Suren genannt. Jede der Suren beginnt mit diesem Vers: „Im Namen Gottes, des Allergnädigsten, des Gnadenspenders“. Jidriz schreibt dazu: „Wenn ihr die Verse in einer Sure lest, sollt ihr sie immer aus dem Blickwinkel und durch die Brille der Gnade Gottes lesen“.
„Gottes Ziel ist es, Unheil zu verhindern oder zu minimieren“. Sein Zorn gilt allem, was Unheil bringt. Aber seine Gnade übersteigt seinen Zorn. „Das ganze Projekt Gottes mit der Menschheit ist getragen durch Seinen Barmherzigkeit. Deshalb sollen auch die Menschen in allen Ritualen, in der Gerichtsbarkeit und den Normen, in ihrer gesamten Lebenspraxis, Liebe und Barmherzigkeit zur Geltung kommen lassen … Dort, wo dieses Prinzip der gegenseitigen Barmherzigkeit und der Liebe vernachlässigt wird, stirbt der Glaube“. Idriz beobachtet eine „Barmherzigkeitsvergessen-heit“ im Islam und sieht in ihr die Ursache für Fanatismus und Gewalt. „Wo Grausamkeit und Gewalt verübt werden, kann nicht der Anspruch erhoben werden, sich mit dem Islam zu identifizieren“.

Einen solchen „Islam hier und heute“ will ich gerne als zu dem Land gehörend anerkennen, in dem wir leben. Manch einer könnte vielleicht geneigt sein zu sagen: „Wir knüpfen die Zugehörigkeit des Islam und der Muslime zu Deutschland an die Bedingung, die Gnade wieder in den Mittelpunkt zu rücken“. Er hätte damit durchaus Recht. Wir müssen uns dann aber genauso fragen lassen, ober wir selbst dieser Bedingung entsprechen. Sind wir so untadelig in der Liebe, wie wir es von anderen erwarten, oder tadeln wir vor allem gerne das Fehlverhalten anderer?

Wetteifern wir vielmehr um das Gute. Suchen wir nach den Wegen, die die Liebe eröffnet. Lassen wir alles, was wir tun, in Liebe geschehen – im Vertrauen darauf, dass Gott allein darüber richtet, wer seinem Anspruch gerecht geworden ist und wer nicht. Vertrauen wir darauf, dass die Gnade das wichtigste Attribut Gottes ist, der uns durch Jesus Christus mit ihm verbunden hat. Vertrauen wir der „Quelle der Gnaden“, dem Gnadenspender; dem dessen Gnade einfach herrlich ist.

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