Predigt am 5. Sonntag nach Trinitatis, 30. Juni 2024,
über 2. Korinther 12,1-8.9-10 in der Evangelischen Stadtkirche Durlach

von Pfarrer Thomas Abraham

2. Korinther 12,1-8.9-10
1Gerühmt muss werden; wenn es auch nichts nützt, so will ich doch kommen auf die Erscheinungen und Offenbarungen des Herrn. 2Ich kenne einen Menschen in Christus; vor vierzehn Jahren – ist er im Leib gewesen? Ich weiß es nicht; oder ist er außer dem Leib gewesen? Ich weiß es nicht; Gott weiß es –, da wurde derselbe entrückt bis in den dritten Himmel. 3Und ich kenne denselben Menschen – ob er im Leib oder außer dem Leib gewesen ist, weiß ich nicht; Gott weiß es –, 4der wurde entrückt in das Paradies und hörte unaussprechliche Worte, die kein Mensch sagen kann. 5Für denselben will ich mich rühmen; für mich selbst aber will ich mich nicht rühmen, außer meiner Schwachheit. 6Denn wenn ich mich rühmen wollte, wäre ich kein Narr; denn ich würde die Wahrheit sagen. Ich enthalte mich aber dessen, damit nicht jemand mich höher achte, als er an mir sieht oder von mir hört.

7Und damit ich mich wegen der hohen Offenbarungen nicht überhebe, ist mir gegeben ein Pfahl ins Fleisch, nämlich des Satans Engel, der mich mit Fäusten schlagen soll, damit ich mich nicht überhebe. 8Seinetwegen habe ich dreimal zum Herrn gefleht, dass er von mir weiche. 9Und er hat zu mir gesagt: Lass dir an meiner Gnade genügen; denn meine Kraft vollendet sich in der Schwachheit. Darum will ich mich am allerliebsten rühmen meiner Schwachheit, auf dass die Kraft Christi bei mir wohne. 10Darum bin ich guten Mutes in Schwachheit, in Misshandlungen, in Nöten, in Verfolgungen und Ängsten um Christi willen; denn wenn ich schwach bin, so bin ich stark.


Liebe Gemeinde!

Was ist der Unterschied zwischen einem (Hof)-Narren und einem Dummkopf?

Der Narr nimmt vermeintlich Vernünftiges aufs Korn. Er macht sich lustig über Dinge, die nur scheinbar vernünftig sind. Nehmen wir die deutsche Verwaltungssprache. Die will ja ganz korrekt beschreiben, was gemeint ist. Das ist ja ein sehr vernünftiges Anliegen. Dabei entstehen aber manchmal absurde Wortgebilde:
„Spontanvegetation“ 1)
„Bio-Sensoren“ 2)
„Abstandeinhaltungserfassungsvorrichtungen“ 3)
„Frühjahrs-Schokoladenhohlkörper“ 4)
Vermutlich sind die Gehirne, denen solche Wortschöpfungen entspringen auch eher Hohlkörper.
Der Narr deckt die Realsatire auf, die im vermeintlich Vernünftigen liegt. Damit eröffnet er eine neue Sicht auf die Dinge. „Es könnte auch anders sein“.
Der Dummkopf dagegen lässt nichts anderes gelten als den eigenen Horizont, der oft genug auch noch eng begrenzt ist (oder doch besser gesagt: beschränkt). Für den Dummkopf zählt nur, was er schon kennt.

Der Narr kann über seine eigenen Macken lachen; der Dummkopf dagegen neigt zum kritiklosen Selbstruhm.

Paulus nimmt im 2. Korintherbrief Narrenfreiheit für sich in Anspruch. Er entlarvt die Dummheit von gängigen Klischees, mit denen die Korinther zu tun haben. Dabei geht es um die Frage: „Was macht einen Menschen glaubwürdig? Wann schenke ich jemandem Gehör bei den wichtigen und gewichtigen Lebensfragen? Bei Fragen des Glaubens / der Religion?“

In Korinth gab es Menschen, die schnell Gehör fanden. „Überapostel“ nennt Paulus die. Heute würde er vielleicht „Premiumapostel“ sagen. Die haben mit den außergewöhnlichen spirituellen Erfahrungen angegeben, die sie gemacht hatten: Sie waren aus ihrem Körper herausgetreten und wurden in den Himmel erhoben – so sagten sie zumindest. Nachprüfen konnte das ohnehin niemand, aber vor allem frage ich mich: Was nützen diese außergewöhnlichen spirituellen Erfahrungen anderen Menschen, die solche Erfahrungen nicht gemacht haben? Traue ich den Worten eines solchen Premiumapostels dann mehr, wenn so etwas zu seinem Portfolio gehört?

Vermutlich denke ich doch eher: „Schön für ihn, aber was habe ich davon?“ oder „Der hat wohl nicht mehr alle Tassen im Schrank!“. Oder aber ich schaue ehrfurchtsvoll zu diesem Menschen empor und fühle mich daneben ganz unspirituell – wie ein Christ zweiter Klasse.

Paulus beschäftigt sich mit den „Überaposteln“ in Korinth und schreibt sich dabei ziemlich in Rage. Das mündet in einer ironischen Kritik, die nicht auf Anhieb zu verstehen ist. Es geht um das Angeben („sich rühmen“) und das Sich-zum-Narren-machen. Das meiste davon überspringe ich jetzt lieber. Am Ende bringt Paulus sein Anliegen dann auf den Punkt. Da steht (2. Korinther 12,9.10): Gott hat zu mir gesagt: Lass dir an meiner Gnade genügen; denn meine Kraft vollendet sich in der Schwachheit. Darum will ich mich am allerliebsten rühmen meiner Schwachheit, auf dass die Kraft Christi bei mir wohne. Darum bin ich auch guten Mutes in Schwachheit, in Misshandlungen, in Nöten, in Verfolgungen und Ängsten um Christi willen.

Man konnte Paulus offenbar ansehen, dass er einiges mitgemacht hatte: Er war gesteinigt und ausgepeitscht worden. Er hatte im Gefängnis gesessen und war verprügelt worden. Das alles hatte Spuren an seinem Körper hinterlassen. Er trug sichtbare Wunden davon.

Ich weiß nicht, wie es Ihnen und Euch geht: Im Zweifelsfall würde ich mich mit solchen Wunden und Narben nach Möglichkeit so anziehen, dass sie nicht zu sehen sind. Paulus macht ausdrücklich darauf aufmerksam. Das finde ich eher befremdlich. Aber er hat einen guten Grund: Seine Narben verbinden ihn mit Jesus Christus. In seinem Leiden als Apostel ist er Jesus Christus und seinem Leiden ganz nah. Seine Narben erinnern ihn daran, dass er diese schwierigen Situationen in seinem Leben überstanden hat, weil Gott ihm die Kraft dazu gegeben hat. In den Stunden der Not hat er Gottes Beistand erfahren: Meine Kraft vollendet sich in der Schwachheit.

Paulus zeigt mit seinen Wunden, dass er Not und Elend kennt. Ich will Paulus ja nicht zu nahe treten, aber vielleicht hätte er sich auch etwas verständlicher ausdrücken können. Er hätte zum Beispiel schreiben können:
„Ihr wisst selbst am besten, wie es einem im Leid ergeht. Und ich verstehe Euch. An mir könnt Ihr sehen, dass ich auch einiges mitgemacht habe. Ich habe das nicht aus eigener Kraft geschafft. Meine herausragenden Fähigkeiten und meine klugen Gedanken haben da nicht mehr viel genützt.
Mir ging es wie Simon Petrus und seinen Fischerkollegen: Die ganze Nacht gearbeitet und nichts gefangen. Es war gegen alle Vernunft, dann ausgerechnet am Tag noch einmal auf den See zu fahren – aber das Vertrauen auf Jesus wurde belohnt. Ganz unerwartet wurden ihre Netze gefüllt [Evangelium zum Sonntag Lukas 5,1-11]. Das habe ich auch erfahren:
Gott hat mir gerade in den dunkelsten Stunden geholfen, als ich keine Ahnung hatte, wie es weitergehen soll. Auf seine Hilfe kommt es an, nicht auf meine angeblich so ganz besonderen und herausragenden spirituellen Erlebnisse.
Seht her. Mit mir ist nicht viel zu wollen. Ich entspreche nicht dem Idealbild eines Athleten oder eines charismatischen Redners. Aber das könnt Ihr mir glauben: Gottes Kraft vollendet sich in der Schwachheit. Ich weiß, wovon ich rede.“

Paulus betreibt hier Ent-Gurifizierung. Es nicht darum, zu ihm (oder zu den Premiumaposteln) aufzuschauen. Es geht darum, mit ihm auf Gott zu schauen. „Lobet, Christen, euren Heiland“! [Diese Kantate von Dietrich Buxtehude hat die Jugendkantorei im Gottesdienst aufgeführt] Rühmt nicht so sehr die eigenen Kompetenzen, sondern rühmt Gott – ganz besonders für die Hilfe in der Schwachheit – in den Situationen, aus denen ich auch mit etwas mehr Anstrengung und härterer Disziplin keinen Ausweg finde; in denen ich mit meinem Latein und mit meiner Kraft am Ende bin. Den Rat von einem, der so etwas erkennbar auch schon erlebt hat, kann ich da vermutlich besser hören als die Lebensweisheiten von einer Karriere-Trainerin oder einem Selbstent­wicklungs-Coach mit strahlendem Zahnpasta-Werbungs-Lächeln.

Nach den gängigen Maßstäben macht Paulus sich zum Narren mit Sätzen wie ich will mich am allerliebsten rühmen meiner Schwachheit oder wenn ich schwach bin, so bin ich stark. Aber er deckt damit auf, wie unvernünftig, ja wie dumm es ist, nur auf die eigene Stärke zu bauen oder nur denen zu vertrauen, die immer mit allem glänzen. Schwäche, Niederlagen, Scheitern – das gehört zum Leben dazu. Aber das ist nicht das Ende des Lebens und es ist schon gar nicht das Ende der Hilfe Gottes. Gott steht zu dem, was er gesagt hat: Lass die an meiner Gnade genügen; denn meine Kraft vollendet sich in der Schwachheit.

1) Unkraut
2) Spürhunde
3) weiße Streifen auf Autobahnen
4) Schoko-Osterhase

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