Predigt am 7. Sonntag nach Trinitatis, 14. Juli 2024,
über 2. Mose 16,2.3.11-18 in der Evangelischen Stadtkirche Durlach
von Pfarrer Thomas Abraham
2. Mose 16,2.3.11-18
2Und es murrte die ganze Gemeinde der Israeliten wider Mose und Aaron in der Wüste. 3Und die Israeliten sprachen: Wollte Gott, wir wären in Ägypten gestorben durch des HERRN Hand, als wir bei den Fleischtöpfen saßen und hatten Brot die Fülle zu essen. Denn ihr habt uns dazu herausgeführt in diese Wüste, dass ihr diese ganze Gemeinde an Hunger sterben lasst.
11Und der HERR sprach zu Mose: 12Ich habe das Murren der Israeliten gehört. Sage ihnen: Gegen Abend sollt ihr Fleisch zu essen haben und am Morgen von Brot satt werden und sollt innewerden, dass ich, der HERR, euer Gott bin.
13Und am Abend kamen Wachteln herauf und bedeckten das Lager. Und am Morgen lag Tau rings um das Lager. 14Und als der Tau weg war, siehe, da lag’s in der Wüste rund und klein wie Reif auf der Erde. 15Und als es die Israeliten sahen, sprachen sie untereinander: Man hu? Denn sie wussten nicht, was es war. Mose aber sprach zu ihnen: Es ist das Brot, das euch der HERR zu essen gegeben hat. 16Das ist’s aber, was der HERR geboten hat: Ein jeder sammle, soviel er zum Essen braucht, einen Krug voll für jeden nach der Zahl der Leute in seinem Zelte.
17Und die Israeliten taten’s und sammelten, einer viel, der andere wenig. 18Aber als man’s nachmaß, hatte der nicht darüber, der viel gesammelt hatte, und der nicht darunter, der wenig gesammelt hatte. Jeder hatte gesammelt, soviel er zum Essen brauchte.
Liebe Gemeinde!
Der Auszug aus Ägypten gehört zu den zentralen Geschichten der Bibel. Harte Jahre der Sklaverei gingen ihm voraus. Die Israeliten (oder „Hebräer) mussten beim Bau großer Städte helfen. Sie mussten Lehm graben und Ziegel brennen und auch auf den Feldern schwer arbeiten.
Gott hörte ihre Hilferufe in der Not und berief Mose zum Anführer in die Freiheit. Er sagte zu ihm: „Ich habe gesehen, wie mein Volk in Ägypten gequält wird. Ich habe gehört, wie sie schreien, wenn die Aufseher sie antreiben. Ich weiß alles, was sie leiden müssen. Sie sollen frei werden aus der Hand der Ägypter. Ich will sie in ein Land bringen, in dem Milch und Honig fließt“.
Nach etlichen Widerständen und den zehn Plagen willigte der Pharao ein. Er ließ Mose und das Volk ziehen – und schickte ihnen dann doch seine Soldaten hinterher. Am Schilfmeer hätten sie sie beinahe eingeholt, doch Gott rettete sein Volk auf wunderbare Weise. Auch die dann folgenden Kapitel erzählen immer wieder davon, wie Gott den Israeliten in der Wüste das Leben rettete. Ich komme gleich darauf zurück.
Am Sinai hat Gott dann einen Bund mit seinem Volk geschlossen und ihm als Zeichen für diesen Bund die Zehn Gebote gegeben. Nach einer langen Wanderung durch die Wüste kamen sie schließlich in das verheißene Land.
Am Anfang dieser Wanderung – zwischen Schilfmeer und Sinai, zwischen Flucht und Bundesschluss – wird erzählt, wie es zu den ersten Schwierigkeiten kam.
Es murrte die ganze Gemeinde der Israeliten
gegen Mose und Aaron in der Wüste. Und sie sprachen:
„Hätte Gott uns doch getötet, als wir noch in Ägypten waren! Dort saßen wir vor vollen Fleischtöpfen und konnten uns an Brot satt essen. Aber ihr habt uns dazu herausgeführt in diese Wüste, dass ihr diese ganze Gemeinde an Hunger sterben lasst.“
Und der HERR sprach zu Mose: „Ich habe das Murren der Israeliten gehört. Sage ihnen: Gegen Abend sollt ihr Fleisch zu essen haben und am Morgen von Brot satt werden und sollt erkennen, dass ich, der HERR, euer Gott bin.“ Und am Abend kamen Wachteln herauf und bedeckten das Lager. Und am Morgen lag Tau rings um das Lager. Und als der Tau weg war, siehe, da lag’s in der Wüste rund und klein wie Reif auf der Erde. Und als es die Israeliten sahen, sprachen sie untereinander: „Man hu – was ist denn das?“ Denn sie wussten nicht, was es war. Mose aber sprach zu ihnen:
„Es ist das Brot, das euch der HERR zu essen gegeben hat. Er hat geboten: Ein jeder sammle, soviel er zum Essen braucht, einen Krug voll für jeden nach der Zahl der Leute in seinem Zelte.“
Und die Israeliten taten’s und sammelten, einer viel, der andere wenig. Aber als man’s nachmaß, hatte der nicht darüber, der viel gesammelt hatte,
und der nicht darunter, der wenig gesammelt hatte. Jeder hatte gesammelt, soviel er zum Essen brauchte.
Von Gott kommt Freiheit und Fürsorge. Von den Menschen kommt Murren und die Suche nach eigenen Wegen.
Gott führt heraus aus der Sklaverei. Niemand soll eines anderen Knecht sein und keiner spiele sich zum Herrn über andere auf. Gott allein ist Herr über die Menschen. Niemand ist Sklave, niemand Knecht eines andern. Gott macht Schluss mit der Sklaverei. Es hat in der Geschichte der Menschheit lange gedauert hat, bis sie den Wert dieser heilsamen Ordnung erkannt hat – und doch gibt es noch immer unterschiedliche Formen der Sklaverei, auch wenn die nicht mehr so heißen.
Gott schenkt auch die Freiheit des Sabbat – sogar in der Wüste. Im weiteren Verlauf dieser Geschichte vom Manna-Wunder wird der Sabbat als Ruhetag vom Manna-Sammeln ausgenommen. An keinem Tag soll mehr gesammelt werden, als für diesen einen Tag benötigt wird; nur, wenn der Sabbat ansteht, soll für zwei Tage gesammelt werden, damit dieser Tag frei vom Zwang zur Arbeit sein kann. Vor dem Sabbat verdirbt das Manna auch nicht am Abend so wie an den anderen Tagen. So sorgt Gott für das, was lebensnotwendig ist, und schenkt darüber hinaus auch noch die Freiheit des Sabbat.
Die Erfahrung der Wüstenwanderung hat das Volk Israel immer wieder gelehrt: Gott führt uns in die Freiheit. Er sorgt für uns. Wir hatten nichts, aber mit Gottes Hilfe haben wir überlebt. Seither haben das unzählige Menschen erfahren dürfen: Gott schenkt uns Freiheit. Er sorgt immer wieder für uns. Wir hatten nichts, aber mit Gottes Hilfe haben wir überlebt.
Und doch ist die Antwort der Menschen auf Gottes Fürsorge und auf das Geschenk der Freiheit immer wieder Murren und der sehnsüchtig-verklärende Blick zurück. „In Ägypten hatten wir zu essen, hier müssen wir hungern“. Wenn die Zukunft düster erscheint, strahlt die Vergangenheit in immer hellerem Licht. Lieber eine geordnete Knechtschaft, als eine riskante Freiheit. Lieber die Gewissheit der Peitsche in der Sklaverei als die Ungewissheit, wann es die nächste Mahlzeit gibt. Lieber der Spatz in der Hand als die Taube auf dem Dach.
Manchmal greifen wir in unseren Träume und Visionen vom Leben ja durchaus zu hoch; aber umgekehrt ist unser Lebensplan dann manchmal erschreckend armselig. Da ziehe ich mich aus der gottgeschenkten Freiheit zurück in die erwartbare Knechtschaft von Vorschriften und Regeln und Ansprüchen. Dem Wagnis der Freiheit ziehe ich die verlässliche Kleinkariertheit vor: Lieber die Kontrolle behalten und genau wissen, wo ich dran bin; lieber ein kalkulierbares Übel als eine unkalkulierbare Wohltat; lieber auf Nummer sicher gehen – auch wenn das eine miefig-enge Sicherheit ist – als auf Gottes Fürsorge angewiesen sein.
Hier bei der Mannageschichte ordnet Gott an: Ein jeder sammle, soviel er zum Essen braucht, einen Krug voll für jeden nach der Zahl der Leute in seinem Zelte. An jedem Tag soll von neuem gesammelt werden – jeder so viel, wie er braucht – nicht mehr und nicht weniger. So sieht die Verteilung der Güter nach Gottes Willen aus. Satt zu essen für jede und jeden – genug, aber nicht zu viel des Guten.
Aber wie wir Menschen so sind sammeln einige „zur Sicherheit“ gleich noch für den nächsten Tag mit. „Wer weiß, wann es wieder etwas gibt?!“ Und was geschieht damit? „Etliche ließen davon übrig bis zum nächsten Morgen; da wurde es voller Würmer und stinkend“ (Vers 20). Ich kann mir keinen Vorrat an Leben anlegen. Gott schenkt es jeden Tag neu und ich kann es nur Tag für Tag aus Gottes Hand annehmen.
Unser Leben ähnelt in manchem der Wanderschaft durch die Wüste: Gott begleitet und führt uns auf dieser Wanderschaft. Und wir stehen vor der Wahl: Entweder bleiben wir mit Gott unterwegs auf dem Weg durchs Leben, bis wir am Ende aller Tage in das gelobte Land des ewigen Lebens einziehen; oder wir klammern uns an die trügerische Sicherheit der Nostalgie und fallen damit zurück in die Knechtschaft des Vergangenen. Das ist manchmal der einfachere, mit Sicherheit aber der armseligere Weg.
Als Kirche stehen wir vor großen Veränderungen. Da ist an vielen Stellen noch nicht absehbar, wo es hingeht. Ich will jetzt nicht behaupten, dass wir bisher in der Sklaverei gelebt hätten; aber hin und wieder neigen auch wir zumindest dazu, die Vergangenheit zu verklären. Und selbst wenn die sprichwörtlichen Fleischtöpfe so gut gefüllt und nahrhaft gewesen sein mögen, wie es uns im Rückblick erscheint: In der Wüste sind die weit weg. Aber Gott ist nah und sorgt für die Seinen – Tag für Tag. Das hat er immer getan, das tut er heute und das wird er weiterhin tun – auch wenn wir heute noch nicht sehen können, wie das morgen sein wird. Aber klar ist: Wenn wir um jeden Preis das zu bewahren suchen, was uns in der Vergangenheit lieb und teuer war, dann wird es mit dem kirchlichen Leben gehen wie mit dem zu auf Vorrat gesammelten Manna: Es wird voller Würmer und stinkend.
Die von Gott eröffnete Freiheit ist nicht billig zu haben, sie ist ein kostbares Gut. Der Preis dafür ist das Loslassen und der Verzicht auf Ansprüche und Vorzeigbares. Das lässt mich erst einmal arm dastehen; aber darauf liegt die Verheißung Gottes, immer wieder für uns da zu sein mit seiner Fürsorge. Mögen auch wir auf unserem Weg immer wieder sagen können: „Gott führt uns in die Freiheit. Er sorgt für uns. Wir hatten nichts, aber mit Gottes Hilfe haben wir überlebt“.